Die Zeit, die Zeit, die Arbeits­zeit: Zum Umgang mit Minus­stunden

02.03.2023 | Lorenz Widmer

Die Zeit ist bekanntlich das kostbarste Gut. Zeit ist aber auch Geld, jedenfalls im Arbeitsverhältnis. Die Parteien vereinbaren üblicherweise, dass der Arbeitnehmende pro Woche oder Jahr eine bestimmte Anzahl Stunden für die Arbeitgeberin arbeitet und dafür jeweils Ende Monat eine bestimmte, in der Regel auf monatlicher Basis fix vereinbarte Menge Geld erhält, den Monatslohn. Hat der Arbeitnehmende in einem Monat weniger Stunden geleistet, als dies vereinbart wurde, können Minusstunden vorliegen. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, was in diesem Zusammenhang beachtet werden sollte.

«Es gibt eine Zeit für die Arbeit. Und es gibt eine Zeit für die Liebe. Mehr Zeit hat man nicht.»

Coco Chanel

Zuerst stellt sich die Frage nach dem Warum. Kommt der Arbeitnehmende deshalb nicht auf die vereinbarte Anzahl Stunden, weil ihm die Zeit für die Liebe letztlich eben doch ungleich wichtiger ist als jene für die Arbeit, er morgens lieber länger im Bett liegen bleibt und seine Sachen wann immer möglich schon am frühen Nachmittag packt respektive im Home-Office frühzeitig den Stecker zieht, ist das auch rechtlich eine andere Situation, als wenn er dies nur deshalb tut, weil er nichts mehr zu tun hat und sich am Arbeitsplatz nicht zu Tode langweilen möchte.

Noch einmal anders sieht es aus, wenn der Arbeitnehmende etwa krank oder verunfallt ist oder während der Arbeitszeit gesetzlichen Pflichten nachkommen muss und er deshalb unverschuldeter­weise nicht arbeiten kann. Diese Fälle führen nicht zu Minusstunden.

Freiwillige Minusstunden: Liegen Minusstunden vor, weil der Arbeitnehmende ohne berechtigte Gründe, also freiwillig beziehungsweise selbstverschuldet nicht oder zu wenig gearbeitet hat, muss ihm die Arbeitgeberin diese nicht geleisteten Stunden auch nicht bezahlen. Es gelten der gesunde Menschenverstand und der Grundsatz «Ohne Arbeit kein Lohn».

Hat die Arbeitgeberin den Lohn für den fraglichen Monat, in welchem Minusstunden angefallen sind, bereits bezahlt, kann sie den zu viel bezahlten Lohn vom Arbeitnehmenden zurückfordern oder diesen Rückforderungs­anspruch mit kommenden Lohnzahlungen verrechnen. Mit beidem sollte die Arbeitgeberin nicht zu lange zuwarten. Bezahlt sie dem Arbeitnehmenden den Lohn trotz den bekannten Minusstunden vorbehaltlos über mehrere Monate hinweg aus, besteht das Risiko, dass der Rückforderungsanspruch futsch ist. Je nach Umständen darf der Arbeitnehmende dann nämlich davon ausgehen, dass die Arbeitgeberin ihr Schicksal akzeptiert und sich mit den Minusstunden abgefunden hat. Gestützt auf dieselben Überlegungen muss die Arbeitgeberin spätestens per Beendigung des Arbeitsverhältnisses sämtliche ihr in diesem Zeitpunkt bekannten Rückforderungs- und weiteren Ansprüche gegenüber dem Arbeitnehmenden geltend machen.

Aus Sicht der Arbeitgeberin erfolgt eine Verrechnung von Minusstunden also am besten so rasch wie möglich. Nimmt sie die Verrechnung der Minusstunden vor, muss sie dem Arbeitnehmenden aber in jedem Fall dessen Existenzminimum auszahlen. Bezieht der Arbeitnehmende Unfalltaggelder, sind diese zwingend auszuzahlen und wäre eine Verrechnung unzulässig.

Praxistipp: Sprecht darüber. Frühzeitig. Und haltet das Besprochene schriftlich fest. Mit einer offenen Kommunikation können am Arbeitsplatz viele Probleme vermieden werden, auch im Zusammenhang mit dem Thema Arbeitszeit.

Arbeitgeberverzug: Sind Minusstunden darauf zurückzuführen, dass bei der Arbeitgeberin Flaute herrscht und sie den Arbeitnehmenden deshalb zu früh nach Hause schickt oder gar nicht erst kommen lässt, liegt ein sogenannter Arbeitgeber- oder Annahmeverzug vor.

In dieser und ähnlichen Konstellationen, in welchen die Minusstunden auf ein Verschulden der Arbeitgeberin oder auf Gründe zurückzuführen sind, die in ihrer Risikosphäre liegen (wie etwa ausbleibende Aufträge, fehlende Rohstoffe etc.), darf der Arbeitnehmende aber nicht einfach schweigend darauf vertrauen, dass ihm die Arbeitgeberin die fraglichen Stunden dennoch als Arbeitszeit verbucht, oder von sich aus nach Hause spazieren. Er muss der Arbeitgeberin seine Arbeitsleistung anbieten. Dies tut er am besten schriftlich. Je nach Situation kann es zudem sinnvoll sein, die Arbeitgeberin ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass man zu wenig zu tun hat und nicht damit einverstanden ist, dass einem deshalb nicht bezahlte Minusstunden verbucht werden.

Hat der Arbeitnehmende seine Arbeitsleistung erfolglos angeboten und bleibt es dabei, dass schlicht zu wenig Arbeit vorhanden ist, hat ihm die Arbeitgeberin trotzdem den vollen Lohn zu bezahlen und darf keine Minusstunden verbuchen beziehungsweise vom Lohn abziehen, zurückfordern oder nacharbeiten lassen.

Bild: Lorenz Widmer

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